Wohnsiedlung "Eigene Scholle" Foto: Michael Schick
Wohnsiedlung "Eigene Scholle" Foto: Michael Schick

Vergessenes Kulturdenkmal

Von Jana Kinne

 

Die Siedlung „Eigene Scholle“ ist ein architektonisches Exempel der Moderne - wie die Römerstadt in Frankfurt oder die Weißenhof-Siedlung in Stuttgart. Doch das einst einheitliche Bild verschwindet zusehends.

   

Recht unscheinbar sehen sie aus, die Häuser, die die Lahnstraße im Wiesbadener Norden säumen. Kleine Vorgärten haben sie und schlichte Putzfassaden, die Dächer sind mit Schieferstein gedeckt. „Nur wenige kennen die Bedeutung und den Wert der Siedlung Eigene Scholle“, sagt Tobias Michael Wolf, Bezirksdenkmalpfleger des hessischen Landesamtes für Denkmalpflege. Dabei reihe sich die Anlage ein in die weltberühmten Siedlungen der Moderne in Berlin, Dessau oder auch Frankfurt.

Es gibt viele Dinge, die charakteristisch sind in der Siedlung „Eigene Scholle“: Die Walmdächer, die Putzfassaden, die Fensterläden aus Holz. Doch durch die individuelle Gestaltung der Häuser durch die Besitzer verschwinden diese Elemente zunehmend und damit auch das einheitliche Bild der denkmalgeschützten Siedlung. Wolf bedauert das: „Wir würden gerne die Siedlungsstruktur erhalten“, sagt er. Deshalb versuche das Denkmalschutzamt gemeinsam mit Stadt und Bewohnern Lösungen zu entwickeln, um das ursprünglich geschlossene Bild der Siedlung zu erhalten. Beispielsweise ist dazu eine Gestaltungsfibel geplant, die zeigt, wie man die Häuser denkmalschutzgerecht gestalten und erneuern kann. „Das Besondere der Anlage ist schließlich ihre Geschlossenheit. Die darf nicht verloren gehen“, fordert Wolf.

Entstanden ist die Wiesbadener Siedlung in den 1920er Jahren. Nach dem Ersten Weltkrieg war Wohnraum knapp. Das Deutsche Reich war gezwungen, die Wohnungsnot zu lindern, und schaffte mit der Einführung einer Hauszinssteuer, die Eigentümer von Altbauten zu Abgaben verpflichtete, die Möglichkeit für den Bau neuer Wohnsiedlungen.

Biedermeierliche Eleganz

Diese Steuer nutzten auch Häuslebauer in Wiesbaden. Sie schlossen sich zu einer Genossenschaft zusammen und konnten so Hypotheken, finanziert aus der Hauszinssteuer, bei der Stadt Wiesbaden beantragen. Hauptsächlich Kleinbürger und Beamte waren es, die durch die Siedlung ihren eigenen Wohnraum schufen. Geplant wurden die Bauten dann vom Architekten Friedrich Werz, einem Schüler Friedrich von Thierschs.

So ist die Siedlung heute Zeuge einer Zeit, in der Funktionalität, Einfachheit und Klarheit beim Wohnungsbau Vorrang hatten. Die großzügigen und aufwendig verzierten Bauten des Historismus und des Jugendstils, die sonst das Wiesbadener Stadtbild prägen, sucht man in den Siedlungsbauten der Lahnstraße, der Fasaneriestraße und Am Mühlberg vergeblich. Stattdessen findet man Ein- oder Zweifamilienhäuser mit kleinen Wohnungen. „Die Siedlung fällt durch ihre schlichte biedermeierliche Eleganz auf“, sagt Wolf. Normalerweise verbinde man die Stadt immer nur mit den prachtvollen Bauten des 19. Jahrhunderts.

 

30. Juni 2011  FRANKFURTER RUNDSCHAU

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